Wo ist die Grenze zwischen Freund und Feind?
Thies Hoppe
Der Beitrag thematisiert die Beziehung zwischen der Urgroßmutter des Verfassers und zwei französischen Kriegsgefangenen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich in Zeiten politischer Repression persönliche Nähe über ideologisch gezogene Feindbilder hinweg entwickeln kann. Ausgangspunkt war das Schulprojekt „Koffer packen für Tommy“, das mit dem Julius-Voos-Preis ausgezeichnet wurde und den Verfasser zu intensiven Gesprächen mit seiner Großmutter anregte. Neben den Gesprächen beruht die Arbeit auf privaten Familiendokumenten, insbesondere einem anonymen Drohschreiben an die Urgroßmutter, das sie bei weiteren Krankenbesuchen eines französischen Kriegsgefangenen mit einer Denunziation bedrohte. Zudem wurden Biografien der Kriegsgefangenen in den Arolsen Archives recherchiert und die Dissertation der Historikerin Gwendoline Cicottini zur historischen Einordnung herangezogen. Cicottini wurde nach Abschluss des Projekts außerdem kontaktiert. Die Arbeit gliedert sich in einen historischen Überblick über den Zweiten Weltkrieg und die Kriegsauswirkungen auf Münster, die Rolle der Kriegsgefangenschaft im NS-Staat, eine Einordnung von Kriegsgefangenschaft in den Westfeldzug sowie eine Erläuterung Problematisierung des Begriffs „Kriegsrecht“. Im Zentrum steht schließlich die detaillierte Analyse der Beziehung zwischen der Urgroßmutter und den französischen Gefangenen seit 1943, rekonstruiert aus Dokumenten wie dem Drohbrief, aber auch Entlastungsschreiben etc. Abschließend reflektiert der Schüler das Spannungsverhältnis von persönlicher Handlungsfreihit und politischer Repression am Beispiel des freundschaftlichen Verhältnisses der Urgroßmutter und den französischen Kriegsgefangenen und versteht Freund-Feind-Unterscheidungen als konstruierte Grenzen, die verändert und auch individuell untergraben werden können.