Die Heimat auf der anderen Seite. Wie hat die Teilung Deutschlands und die Flucht meiner Urgroßmutter in den Westen ihr Leben geprägt?
Klara von Schoenebeck
Der Beitrag untersucht die Fluchtgeschichte der Urgroßmutter der Verfasserin, die 1945 im Zuge der Bodenenteignung in der sowjetischen Besatzungszone vom Gut der Familie in Jahna in die amerikanische Besatzungszone floh. Die Verfasserin hebt dabei besonders auf den Kontrast zwischen physischer und psychischer Grenzüberwindung ab. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden eigene Erinnerungen an die Uroma. Anhand von aufgezeichneten Interviews (1996/97), Familienerzählungen und -fotografien sowie Aktenausschnitten eines Gerichtsverfahrens um die Restitution des Familienanwesens werden die Biografie rekonstruiert und das Verhältnis zur enteigneten Heimat interpretiert. Die Arbeit gliedert sich erstens in einen Lebenslauf der Uroma, eine Vorstellung der Lebensstationen und eine Bearbeitung politischer Karten Deutschlands, auf denen jeweils mit farbigen Punkten die Lebensstationen der Uroma markiert sind. Dies soll laut der Verfasserin zeigen, wie sich die Grenzen über ihre Lebensspanne hinweg verschoben haben. Zweitens werden die Berichte der Uroma detailliert ausgewertet. Ein Doppelter Zeitstrahl stellt zur Visualisierung Daten der deutschen Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg und dem Leben der Uroma nebeneinander. Es erfolgt drittens eine historische Einordnung des Zusammenhangs von Zweitem Weltkrieg, Aufteilung in Besatzungszonen und Bodenreform in der SBZ/DDR mit der Enteignung der Familie. Im Kontext des Restitutionsverfahrens wird ein Mail-Kontakt mit den Rechtsanwälten in der Familie mit juristischer Erläuterung zum Vermögensrückgabegesetz und den politischen Hintergründen der „Rückgabesperre“ sowie ein Zitat aus der Urteilsbegründung der Ablehnung einer Restitution Jahnas wiedergegeben. Im letzten Teil diskutiert die Verfasserin sowohl positiv bewertete Charaktereigenschaften (Durchhaltewillen, positives Denken) als auch psychisches Leiden (Alpträume, Verfolgungsangst) als Folge der Fluchterlebnisse. Zudem reflektiert die Verfasserin die privilegierte Fluchtsituation der Familie im Vergleich zu anderen Geflüchteten und die langfristigen Folgen von Heimatverlust und erzwungener Mobilität. Abschließend erfolgen die kurzen Darstellungen zahlreicher weiterer Familienmitglieder über die Biografie der Uroma, ihr Verhältnis zu Jahna und die individuellen und familiären psychischen Folgen der Flucht. Der Anhang enthält Quellenverzeichnis, Arbeitsbericht und Notizen der Verfasserin zu dem ausgewerteten Interviewmaterial.