Verschickungskinder – Erfahrungen ohne Grenzen?
Greta Keller, Loane Wierz-Bibian
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland schätzungsweise 12 bis 13 Millionen Kinder aus der DDR und der BRD in Kinder-Erholungsheime, Kinderkurkliniken und Kinderheilstätten geschickt. Ziel dieser Kuren war vor allem die gesundheitliche Förderung, etwa durch Aufenthalte in Höhen- oder Seeluftgebieten oder spezielle Therapien wie Liegekur und Dampfbäder. Berichte ehemaliger Kurkinder zeigen jedoch, dass in vielen Einrichtungen physische und psychische Grenzüberschreitungen stattfanden. Kinder wurden geschlagen, erniedrigt, gezwungen, Essen aufzuessen, mussten strenge Regeln einhalten, lange liegen und waren häufig medizinisch unzureichend betreut. Diese Erfahrungen führten bei vielen Betroffenen zu Traumata, Angststörungen und weiteren psychischen Belastungen. Die Beitragserstellerinnen analysieren das Thema umfangreich und veranschaulichen es zusätzlich noch kreativ. Sie gestalteten einen alten Koffer, der die Zeit von nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die frühen 90er-Jahre symbolisiert, und richteten darin drei Räume ein, die das Interieur von Kinderkurheimen zeigen. In diesen Räumen veranschaulichten sie die physischen und psychischen Grenzüberschreitungen, die Kinder dort erlebten, zum Beispiel kaltes Abspritzen, strenge Schlafzeiten oder erzwungene Ernährung. Zusätzlich erstellten sie fiktive Tagebucheinträge aus der Sicht eines Kindes, die auf Zeitzeugenberichten und recherchierten Fakten basieren. Heute ist körperliche Bestrafung von Kindern in Deutschland verboten (§1631 BGB), doch die Erlebnisse der Verschickungskinder verdeutlichen die langanhaltenden Folgen solcher Misshandlungen und die lange Zeit mangelnde gesellschaftliche Aufmerksamkeit für dieses Kapitel der Geschichte.