Was motivierte die Menschen zu jener Zeit den ersten real existierenden Gottesstaat in der Geschichte Irans zu errichten?

Bardia Amirmiran

Schulen: Wilhelm-Hittorf-Gymnasium;
Jahrgangsstufen: 11
Beitragsart: Textbeitrag
Vorhandene Dokumente: Beitrag, Arbeitsbericht
Wettbewerb: Gott und die Welt. Religion macht Geschichte (2016-2017) (Detail)
Zeitraum von: 1914
Zeitraum bis: 2017
Signatur: 4 SAB 1260
Umfang: 48 S.
Auszeichnungen: 2. Bundespreis
Untersuchte Orte: Iran
Persönlichkeiten: nicht erfasst
Institutionen: nicht erfasst
Tutoriert: Ja
Beitragszusammenfassung:

Sich selbst als Atheisten bezeichnend, sieht sich der Verfasser von der Frage umgetrieben, aus welchen Motiven Staaten, insbesondere der Iran, der Teil seiner Herkunft ist, fußend auf häufig schon jahrhundertealte religiöse Vorstellungen und Vorschriften, statt auf modern-demokratische Werten revolutioniert werden. Er geht dazu in seiner Arbeit, die viele wertende Aussagen enthält, in zwei Schritten vor: Zunächst wird vor allem auf Grundlage von Fachliteratur die Geschichte des Staatsgebiets des heutigen Iran im 20. Jahrhundert skizziert. Im zweiten Schritt stellt der Verfasser die Positionen von ihm interviewter Zeitzeugen vor, die zugleich verschiedene Perspektiven der Thematik abbilden sollen – Transkripte der Interviews liegen der Arbeit nicht bei. Der Schüler zeichnet dabei das komplexe Bild eines Staates, das vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert geprägt und grundlegend bewegt von ausländischen Einflüssen war: Unter dem Eindruck britischer Kolonialinteressen und deutscher Militärinterventionen, stellte sich zunächst die Bevölkerung gegen die Instrumentalisierung durch fremde Mächte. 1921 putschte sich Reza Khan im oligarchisch geprägten Land an die Macht und setzte in der Folgezeit seine Vision eines modernen Irans westlichen Vorbilds repressiv und gewaltsam durch. Doch auch im Zweiten Weltkrieg geriet das Land mit seinen Ölvorräten wieder in den Fokus der zu diesem Zeitpunkt dominierenden Mächte; ein Zustand, der sich in den Frontenbildungen des Kalten Kriegs fortsetzte. Zwischenzeitlich abgesetzt, wurde der Sohn Reza Khans, Schah Mohammad Reza, schließlich in einem britisch-amerikanisch angeleiteten Staatsstreich wieder in sein Amt gehoben und mit geheimdienst- und polizeilichen Mitteln zunächst in diesem gehalten. Wie sein Vater schlug auch er einen Kurs der Zwangsmodernisierung ein, der auf zunehmenden Widerstand stieß. Zurückgehalten werden konnte dieser immer weniger, als er angesichts antireligiöser Modernisierungsmaßnahmen auch von geistlicher Seite unterstützt und somit weite Teile der Bevölkerung organisieren konnte – eine bis dato neue Entwicklung. Auch unter veränderten weltpolitischen Parametern wuchsen die Proteste schließlich bis zu den Massendemonstrationen 1978 an. 1979 schließlich floh auch der Schah ins Exil – und Chomeini, dem es zuvor in einzigartiger Geschwindigkeit gelungen war, die Interessengruppen auf ein gemeinsames Ziel hin zu organisieren, wurde zur prägenden Person des Irans der sich per Referendum mit 98prozentiger Zustimmung für die Errichtung einer Islamischen Republik aussprach. Der Stiefvater des Verfassers nahm seinerzeit selbst an den Protesten gegen die Schah-Herrschaft teil. Seine Biographie erzählt der Verfasser als die eines entschiedenen Antiautokraten der sich angesichts des islamisch-autokratischen Einflusses in Person von Chomeini enttäuscht über die Kurzsichtigkeit und aus Angst vor einem Rückfall in die Diktatur von seiner Heimat abwandte und floh. Entscheidend schätzt der Verfasser hier seine Abneigung gegenüber diktatorischen Zügen des politischen Islam ein. Dabei konstatiert er zugleich in einigen Punkten Differenzen zwischen dessen Wahrnehmung und der Darstellungen in Sekundärliteratur. Im Gegensatz zum demonstrierenden Stiefvater blieb der Großvater des Schülers während der Massenproteste eher in einer beobachtenden Rolle. Auch er lehnt allerdings insbesondere den politischen Islam – dieser habe auch ihn selbst von seinem Glauben entfremdet – drastisch ab, wie in indirekten Zitaten deutlich wird. Die strukturelle Gleichheit zur Schah-Diktatur koppelt er gar mit einer Verschwörungstheorie über die Personalunion von Schah und Chomeini, die sein Enkel jedoch kritisch hinterfragt. Der dritte Interviewpartner – gläubiger Muslim und Militär zur Zeit des Schahs – sieht die Proteste gegen den Schah nicht kritisch, lehnt jedoch auch den Gottesstaat gegenwärtiger Form ab. Für ihn ist es ein Zerrbild der im Koran beschriebenen Utopien eines Staats der Gläubigen. Für seine Leitfrage kommt der Autor zu dem Schluss, dass eindeutige Aussagen über Motive in einer solch schwierigen Gemengelage so gut wie unmöglich sind – vielmehr sieht er eine komplexe Umstandsverkettung, in der einzelne Ereignisse ‚tipping points‘ darstellten und prägende Personen diese Situationen – häufig populistisch – für sich zu nutzen wussten.