„Ja, waren wir denn blind?“ Vom Schmähmotiv zum Mahnmal – „Synagoge und Ecclesia“ an der Lambertikirche in Münster

Greta Marie Hamidi

Schulen: Marienschule;
Jahrgangsstufen: 10
Beitragsart: Textbeitrag
Vorhandene Dokumente: Beitrag, Arbeitsbericht
Wettbewerb: Gott und die Welt. Religion macht Geschichte (2016-2017) (Detail)
Zeitraum von: 1900
Zeitraum bis: 2017
Signatur: 4 SAB 1380
Umfang: 72 S.
Auszeichnungen: Landespreis
Untersuchte Orte: Lamberti-Kirche, Münster
Persönlichkeiten: nicht erfasst
Institutionen: nicht erfasst
Tutoriert: Ja
Beitragszusammenfassung:

Vor dem Hintergrund aktueller öffentliche Debatten, die einerseits einen Verlust der Prägekraft von Religion für den Alltag vieler Jugendlicher und junger Erwachsener konstatieren, andererseits negative Einflüsse fanatisch-fundamentalistisch ausgelegter Extrempositionen von Religion medial multiplizieren, setzt sich die Autorin mit der antijudaistischen Statuen-Komposition von Synagoge und Ecclesia an der Münsteraner St. Lamberti-Kirche auseinander. Neben gegenwärtigen Umgangsweisen mit dieser Darstellung stellt sie die Frage nach dem historischen Hintergrund und Ursprung dieser Bildhauereien in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Eine Synthese ihrer interesseleitenden Motive versucht sie in der Frage des Umschlags in der Rezeption vom Schmähmotiv zum Mahnmal. Ausgehend von einer abbildungsgestützten Beschreibung der Statuen, die sich an prominenter Stelle in Münsters Altstadt befinden, erläutert sie in Abgrenzung vom Antisemitismus den Antijudaismus, der hier zu Stein geworden ist, sowie dessen künstlerische Motiv-Rezeptionen. Dabei stellt sie fest, dass der Antijudaismus kein ausschließlich lokales Phänomen, sondern seit Beginn des Christentums ein Grundmotiv dieser Religion war. In Münster selbst haben sich erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts Juden niedergelassen. In einer Betrachtung der architektonischen Geschichte der St. Lamberti-Kirche, an deren Außenwand sich die betrachteten Statuen befinden, stellt Hamidi fest, dass die Skulpturen der Synagoge und Ecclesia erst im Rahmen von Restaurations- und Neukonzipierungsarbeiten um 1900 hinzugefügt wurden. Zu dieser Zeit befand sich die Gemeinde der Münsteraner Juden im Pfarrbezirk der St. Lamberti-Kirche. Nach Ansicht der Schülerin liegt es nahe, dass sich die Restauratoren einem mittelalterlichen Theologie- und somit auch Interreligiositäts-Verständnis verpflichtet sahen, als sie die entsprechenden Statuen errichteten. Trotz der Neupositionierung zum Judentum im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren stellt die Verfasserin im Umgang der Lamberti-Gemeinde mit diesen Statuen und der jüdischen Gemeinde erst in jüngerer Vergangenheit Bewegung fest. Doch auch die 2015 wiederaufgenommene Diskussion über die bzw. die 2016 erfolgende Konzeption der Erläuterungs-Tafeln werden in der vorliegenden Arbeit als höchst ambivalent aufgefasst und kritisch in den Blick genommen. Der Weg zur Kooperations- und Austauschbereitschaft zwischen den Religionsgemeinschaften stellte sich für die Autorin nach Auswertung einiger Zeitzeugen-Interviews Beteiligter als nicht immer einfach dar. Abschließend bewertet die Verfasserin die aktuelle Tafel an der St. Lamberti-Kirche als auf Ausgeglichenheit und gegenseitige Wertschätzung bedachte, zugleich aber für den Alltagsgebrauch zu komplexe Darstellung des schwierigen historischen Verhältnisses von Christen- und Judentum, der sich immer noch in einer vielschichtigen Diskussion über diese Themen niederschlägt. Der Beitrag wird ergänzt durch einen ausführlichen Arbeitsbericht, der den Lernprozess der Schülerin in vielen Schritten reflektiert.