„…dass die Juden, wenn sie in Deutschland geblieben wären, erhebliche Vermögensschäden durch den Krieg erlitten hätten…“. Wenn eine Finanzbehörde zuerst die Enteignung und dann die Wiedergutmachung regelt

Vera Baumeister

Schulen: Kardinal-von-Galen-Gymnasium;
Jahrgangsstufen: 12
Beitragsart: Textbeitrag
Vorhandene Dokumente: Beitrag, Arbeitsbericht
Wettbewerb: Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte (2010-2011) (Detail)
Zeitraum von: 1933
Zeitraum bis: 1959
Signatur: 4 SAB 860
Umfang: 51 S.
Auszeichnungen: nicht erfasst
Untersuchte Orte: Finanzamt, Münster
Persönlichkeiten: Heising, Heinrich
Institutionen: nicht erfasst
Tutoriert: Ja
Beitragszusammenfassung:

Erst 2010 wurde systematisch begonnen, auch die Arbeit des Reichsfinanzministeriums zu Zeiten der Judenverfolgung zu hinterfragen und analysieren. Der vorliegende Beitrag versucht, anhand der Schicksale der westfälischen Familien Levi und Cohn exemplarisch nachzuzeichnen, wie die Behörden zunächst an der Ausbeutung emigrationswilliger Juden und schließlich an der Wiedergutmachung ihnen gegenüber beteiligt waren. Die aus Lühnen stammenden Levis mussten aufgrund ihrer Emigration nicht nur Zwangsabgaben zahlen sondern verloren im Zuge ihrer Auswanderung 1938 auch ihr aufgegebenes Umzugsgepäck an die SS. Wiedergutmachungszahlungen erhielten die Levis erst nach jahrelangem Streit mit den deutschen Behörden 1959. Im Vergleich zu ihrer Existenz als Metzger in Deutschland zunächst deutlich verarmt, aber am Leben, verbrachten sie ihre letzten Jahre in Israel. Der wohlhabende und geachtete Münsteraner Rechtsanwalt Julius Cohn floh nach schweren Repressalien mit seiner Familie bereits 1933 nach Paris. Da er keine Reichsfluchtsteuer gezahlt hatte, wurden sein Inlandsvermögen, Grundbesitz, Hausrat und Kanzleiinventar vom Finanzamt der Stadt Münster beschlagnahmt, seine Versuche den Ausverkauf von Paris aus zu verhindern, blieben erfolglos. Als einer der ersten jedoch forderte Cohn nach dem Zweiten Weltkrieg Entschädigungen von den Behörden. Dabei geriet Cohn in Konflikt mit dem Finanzamtmitarbeiter Heising. Heising, der seit 1920 Mitarbeiter des Finanzamts Münster war, leistete den Anweisungen des NS-Apparats treu Folge. Dabei versuchte er vor allem zu verhindern, dass auswandernde Juden ihr Eigentum oder Kapital mit ins Ausland nahmen. Auch auf die Entschädigungsforderungen nach dem Zweiten Weltkrieg reagierte Heising, der in der Arbeit als exemplarisch für den NS-folgsamen Beamten angeführt wird, zunächst ablehnend und ohne Unrechtsbewusstsein. Als skandalös erachtet die Verfasserin daher in ihrer Darstellung nicht nur das den jüdischen Familien widerfahrene Schicksal, sondern auch das Ausmaß der Verstrickungen der Behörden, wie sie beispielsweise in der Person Heisings sichtbar werden.