„Eine kleine Puppe“. Die Geschichte meiner behinderten Tante Silke Tkaczuk

Felix Malkowski

Schulen: Wilhelm-Hittorf-Gymnasium;
Jahrgangsstufen: 9
Beitragsart: Textbeitrag
Vorhandene Dokumente: Beitrag,
Wettbewerb: miteinander - gegeneinander? Jung und Alt in der Geschichte (2006-2007) (Detail)
Zeitraum von: 1944
Zeitraum bis: 1969
Signatur: 4 SAB 619
Umfang: 23 S.
Auszeichnungen: nicht erfasst
Untersuchte Orte: Westfälische Provinzial- und Pflegeanstalt, Münster-Marienthal
Persönlichkeiten: Brune, Paul
Institutionen: nicht erfasst
Tutoriert: Ja
Beitragszusammenfassung:

Die 1944 in Oberschlesien geborene und 1969 verstorbene Tante des Verfassers litt unter Trisomie 21. Kurz vor Kriegsende mit ihrer Familie nach Münster geflohen, wurde Silke Tkaczuk – nach kurzem Aufenthalt in München – in die Obhut des Johannes-Stift in Niedermarsberg gegeben. Diese Institution hatte eine noch junge Vergangenheit im „Euthanasie“-Programm des nationalsozialistischen Staats, dem Tkaczuk aufgrund des Zeitpunkts ihrer Geburt und der Flucht aus Schlesien entgangen war. Doch Mitpatienten wie Paul Brune berichteten auch in der Nachkriegszeit noch von sexuellem Missbrauch, menschenverachtenden Umgangsweisen und außergewöhnlich schlechter Versorgung und Ernährung. Erst mit der neuen Heirat ihrer Mutter und dem anschließend erfolgenden Bau eines gemeinsamen Hauses verließ Silke Tkaczuk diese Klinik und besuchte stattdessen tagsüber die Habichtshöhe, wohnte allerdings bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater – den sie sofort als Vater akzeptierte; in der Retrospektive erinnern sich auch ihre Halbgeschwister an ein harmonisches Miteinander. Erst mit der Pubertät und Umständen wie dem ausbleibenden Schamgefühl Silke Tkaczuks erschien es ihren Eltern wieder notwendig, die Tochter dauerhaft in Pflege zu geben. Der Aufenthalt im Anna-Katharinen-Stift blieb 1961 jedoch eine kurze Episode, da die dortigen Schwestern ihr nach dem Bettnässen einen weiteren Aufenthalt verweigerten und sie als „nicht bildbar“ einschätzten. Bildung blieb Tkazuck ihr Leben lang verwehrt, Schulen für geistig eingeschränkte Menschen waren noch fast kein Thema – die erste in Münster wurde errichtet, als Tkazuck 1969 verstarb. Zuvor jedoch besuchte sie bis zu ihrem Tod das Westfälische Landeskrankenhaus Marienthal – aufgrund ihres liebevollen und freundlichen Gemüts als gute Seele der Schwestern auf der „geschlossenen unruhigen Aufnahmestation“. Insgesamt resümiert der Verfasser, dass ein eingeschränkter Mensch aufgrund seiner spezifischen Bedürfnisse und unkonventionellen Verhaltensweisen von seiner Umgebung ein noch dezidierteres „Miteinander“ im Sinne der Toleranz und des Zusammenhalts erfordert.