Der Konflikt und die Konkurrenz zwischen der katholischen Kirche und dem nationalsozialistischen Regime am Beispiel niederer Geistlicher aus dem Münsterland

Johanna Tiemann

Schulen: Friedensschule;
Jahrgangsstufen: 13
Beitragsart: Textbeitrag
Vorhandene Dokumente: Beitrag, Arbeitsbericht
Wettbewerb: Gott und die Welt. Religion macht Geschichte (2016-2017) (Detail)
Zeitraum von: 1933
Zeitraum bis: 1945
Signatur: 4 SAB 1285
Umfang: 58 S.
Auszeichnungen: Landespreis
Untersuchte Orte: nicht erfasst
Persönlichkeiten: Leisner, Karl, Poether, Bernhard, Scheipers, Hermann
Institutionen: nicht erfasst
Tutoriert: Ja
Beitragszusammenfassung:

In einen elaborierten theoretischen Rahmen – von Mannheim bis zu Bourdieu – eingebettet, betrachtet die Verfasserin das Wirken katholischer Priester aus dem Münsterland während der NS-Herrschaft. Sie fasst Nationalsozialismus und (katholische) Religion als zwei um ihre Geltung konkurrierende Ideologien auf; die in der Analyse besonders fokussierten Priester stellen dabei das Denkkollektiv auf katholischer Seite dar. In Anbetracht von Geltungstrieb und Konkurrenztheorie will sie den einzelnen Geistlichen persönlichen Interessen- und Motivlagen widerständigen Handelns nicht absprechen, meint sie aber dennoch in den Meta-Konflikt der Institutionen und deren Absichten einfassen zu können. Zur Skizzierung des historischen Kontextes stellt sie mit „Religion und Ersatzreligion“ ideologische Grundsätze, insbesondere in Perspektive auf das Menschenbild beider Parteien kontrastiv-vergleichend dar, da in dessen diametralen Gegensätzen für sie der Ansatz- und Ausgangspunkt des Widerstands vieler Geistlicher begründet lag. Als ebenfalls nicht unerheblich für die Bereitschaft zum Widerstand gegen das Regime stuft sie die Sozialisationserfahrungen vieler Geistlicher zur Zeit des Kulturkampfs ein. Konkrete Fallanalysen betreibt sie anhand Geistlicher aus Münster im Zweiten Weltkrieg. Hier räumt sie der sogenannten „Polenseelsorge“ großen Stellenwert ein: Angewiesen durch Kardinal von Galen waren es Geistliche wie Bernhard Poether, die entgegen der menschenverachtenden NS-Ideologie auch angeblich „minderwertige Rassen“ unverändert mit Nächstenliebe umsorgten und pflegten. Poether ließ sich auch von Drohungen und Repressionen durch das Regime nicht von seiner Haltung abbringen, bis er schließlich nach Dachau deportiert wurde, wo er 1942 starb. Auch Herrmann Scheipers, ein Priester aus dem Münsterland, feierte nach wie vor auch mit Christen polnischer Abstammung die Messe und umsorgte sie seelsorgerisch. Die Haft im Konzentrationslager Dachau überlebte er nur knapp. Dass Poether und Scheipers keine Einzelfälle waren zeigt die Verfasserin anhand der akribischen Darstellung einiger weiterer Priester-Biographien. Doch auch auf anderer Ebene zeigten Priester Widerstand: Eines der wohl prominentesten Beispiele ist Karl Leisner; als Jugendlicher selbst von der katholischen Jugendarbeit geprägt, engagierte sich der Pfarrer dort hingabevoll. In den nationalsozialistischen Bemühungen um die Jugend sah er nicht nur diese, sondern auch seine Idealvorstellung eines katholischen Patriotismus gefährdet. Seine Renitenz sowie sein erfolgreiches Werben um viele Jugendliche führte schließlich dazu, dass auch er in Dachau inhaftiert wurde – nach Kriegsende starb er an den Folgen einer dort erlittenen Lungenerkrankung. Doch neben dem Münsterländer Leisner gab es auch in dieser Dimension zahlreiche Beispiele dafür, wie die Religion es schaffte, Priester zum Widerstand gegen die Vereinnahmung der Jugend gegen das Regime anzuregen und die Jugendlichen selber zu mobilisieren. Kritisch betrachtet die Verfasserin die retrospektive Märtyrer-Stilisierung der Priester, insbesondere deren Intensivierung durch die katholische Kirche die Zeit des Lebens der Widerständler auch von ihnen abrückte, sobald sie beispielsweise in Konzentrationslager deportiert wurden. Einer zeitgenössisch-arrangierenden Haltung entspricht die rückwirkende Vereinnahmung ihrer Ansicht nach nicht gänzlich: Statt der Institution Kirche haben sich ihre unmittelbaren Diener aufgrund ihrer subjektiven Religiosität den Nationalsozialisten entgegengestellt. Die Kirche hingegen war und ist – auch aufgrund ihren umfassenden Anspruchs – nach wie vor auf Machterhalt und gesellschaftliche Einflussnahme bedacht.